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Wenn Blicke töten könnten:
Ein Sachverständiger zwischen „Ja“ und „Nein“

Es war einer dieser Gerichtsverhandlungen, die sich bereits nach wenigen Minuten wie ein schlecht produziertes Drama anfühlen. Man wusste, wie es ausgehen würde, aber trotzdem hielt das Schauspiel seine Protagonisten und Zuschauer in Atem – oder zumindest in einer merkwürdigen Spannung. In der Hauptrolle diesmal: ein Rechtsanwalt, der sich in etwa so geschickt bewegte wie ein Elefant im Porzellanladen, und ein Sachverständiger – also ich –, der versuchte, professionell zu bleiben, obwohl die Szenerie immer absurder wurde.

Die Ausgangslage war für die beklagte Seite, sagen wir, ungünstig. Mein Gutachten hatte die Sache klar auf den Punkt gebracht, und die Klage des Klägers stand auf soliden Füßen. Für den Rechtsanwalt der Gegenseite war dies wohl der Moment, in dem er sich im Geiste bereits in einem metaphorischen Rettungsboot sah – nur ohne Ruder und mit einem langsam eindringenden Leck. Doch was tun, wenn das Schiff sinkt? Man greift nach allem, was auch nur entfernt wie ein Rettungsanker aussieht. In diesem Fall war ich dieser Anker, oder zumindest ein Ziel, auf das er seine Verzweiflung projizieren konnte.

Das Bombardement beginnt

Mit finsterem Blick und einer hochgezogenen Augenbraue – das Markenzeichen eines jeden verzweifelten Advokaten – begann er, mich mit Fragen zu überschütten. Sie waren nicht nur zahlreich, sondern auch von der Art, bei der selbst der geübteste Sachverständige ins Straucheln kommen könnte, wenn er nicht tief durchatmet. Doch das Problem des Herrn Rechtsanwalts war ein ganz anderes: Seine fachlichen Kenntnisse schienen irgendwo zwischen „rudimentär“ und „nicht existent“ angesiedelt zu sein. Das bedeutete, dass er keine offenen Fragen stellte, sondern mich mit geschlossenen Fragen konfrontierte – einer Disziplin, in der ich mittlerweile Meister war.

„Ist das Fenster korrekt eingebaut?“ – „Ja.“
„Sind Sie sicher?“ – „Ja.“
„Aber hätte man nicht auch…?“ – „Nein.“

Er wiederholte das Spiel so oft, dass selbst der Richter – ein erfahrener Mann, der für gewöhnlich stoisch allem Unfug lauschte – begann, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Doch ich blieb standhaft. Mein Plan war einfach: Kurze Antworten, kein Ausufern, keine Angriffsfläche.

Die entscheidende Schlacht

Nach einer gefühlten Ewigkeit – es waren vielleicht 20 Minuten, die sich jedoch anfühlten wie ein transatlantischer Flug in der Economy-Class – kam der Höhepunkt. Der Rechtsanwalt, mittlerweile blass um die Nase, stellte seine vielleicht hundertste Frage, eine jener hinterlistigen, mit denen er offenbar hoffte, mich aus der Reserve zu locken. Doch statt einer Antwort meinerseits passierte etwas völlig Unerwartetes: Ich blickte ihn einfach nur an. Direkt in die Augen, in diese kleinen, glitzernden Pünktchen, die vor Anstrengung zu brennen schienen. Und dann geschah – nichts.

Der Raum schien stillzustehen. Der Richter war offenbar so fasziniert, dass er aufhörte, seinen Kugelschreiber zu drehen. Der Kläger rutschte auf seinem Stuhl nach vorn, als wolle er kein Detail verpassen. Und der Rechtsanwalt? Er starrte mich an, ich starrte zurück. Es war ein Duell der besonderen Art. Sekunden verstrichen, vielleicht auch Minuten. Schließlich konnte ich mir ein winziges, fast unsichtbares Lächeln nicht verkneifen. Der Rechtsanwalt? Kein Wort mehr. Seine letzte Frage hing noch immer in der Luft, unbeantwortet, wie eine unerreichbare Fliege an der Wand.

Das Ende des Dramas

Der Richter, sichtlich erleichtert, nutzte die Gelegenheit, die Verhandlung zu einem raschen Ende zu bringen. Das Urteil wurde im Sinne des Klägers gesprochen, und der Rechtsanwalt zog mit hängenden Schultern ab, vermutlich, um seine Taktik bei zukünftigen Verhandlungen zu überdenken.

Ich hingegen werde diesen Moment nie vergessen: Dieses Duell der Blicke, dieses Schweigen, das lauter sprach als jede Antwort. Manchmal ist es eben besser, nichts zu sagen – oder einfach nur „Ja“ und „Nein“. Schließlich ist es nicht meine Aufgabe, das sinkende Schiff zu retten. Manchmal reicht es, am Ufer zu stehen und zuzusehen, wie es untergeht. Und wer weiß, vielleicht sollte ich beim nächsten Mal ein Fernglas mitbringen – für die wirklich dramatischen Details.

Zum Geleit
Ein Gerichtssachverständiger steht oft im Kreuzfeuer, doch gerade in turbulenten Momenten zeigt sich wahre Professionalität. Die Kunst liegt darin, Ruhe zu bewahren und nicht in vorauseilendem Gehorsam unnötige Erklärungen abzugeben. Manchmal genügt ein „Ja“ oder „Nein“, um den Fokus auf die Fakten zu lenken – wie die nachfolgende Geschichte beweist.